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Mehrere Personen sitzenn um einen Tisch und betrachten einen Vortrag an einem Bildschirm

Heimat gemeinsam gestalten

Der Befund:

Flyer des Regionallabors HeimatLeben 4.0
Quelle: OGL Bergstraße-Odenwald

Gesellschaftliche Herausforderungen können nicht mehr ausschließlich im tradierten institutionellen Rahmen bewältigt werden. Für gute Lösungen werden sektorenübergreifende Kooperationen und dazu passende Beteiligungsprozesse benötigt. Der Bürger- und Zivilgesellschaft und der aktiven Mitwirkung ihrer Akteure an der Gestaltung von Entwicklungen kommen daher wachsende Bedeutung zu. Sie repräsentieren die Praxiserfahrungen und Nutzererwartungen der Zielgruppen, die unmittelbar von ungelösten Aufgabenstellungen betroffen sind. Tatsächlich artikulieren Bürgerinnen und Bürger aber ihre Interessen meist erst dann, wenn Entscheidungen bereits gefallen und Fakten geschaffen sind.

Die Weisheit der Vielen nutzen
Mit dem 2017 vom gemeinnützigen Verein Transforum e.V. initiierten „Bürgernetzwerk“ bekommt die Stimme von Bürgerinnen und Bürgern von Beginn an Gewicht in diesen Debatten. Die vielbeschworene Weisheit der Vielen funktioniert – aber nur, wenn sehr viele unterschiedliche Menschen mit ebenso unterschiedlichen Interessen, Ideen und Meinungen zusammenkommen. Dann finden sich so gut wie immer überzeugende gemeinsame Lösungen – die oft als „gesunder Menschenverstand“ beschrieben werden. Die erforderliche Vielfalt zu organisieren, ist Ziel und Aufgabe des Bürgernetzwerks.

Das Projekt „HeimatLeben 4.0“
Das gilt auch für das Projekt „HeimatLeben 4.0“ in der Region Bergstraße-Odenwald. Es adressiert die Frage, wie regionale Identität ländlicher Räume als Erfolgsfaktor im Standortwettbewerb eingesetzt werden kann. Dazu müssen neue, interkommunale Formen des Zusammenwirkens von ländlichen Räumen, Mittel- und Oberzentren entwickelt werden. Dies erfordert Open-Government-Ansätze, die zu einem kooperativen Miteinander von Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Bürgerschaft führen.

Das Bürgernetzwerk
Das Bürgernetzwerk hat seit fünf Jahren an der Bergstraße sehr erfolgreich aus der Bürgerschaft heraus sektorenübergreifende Kooperationsprojekte entwickelt und sich so einen Stellenwert erarbeitet, der zur Aufnahme in das vom Bundesinnenministerium initiierte nationale Netzwerk von 13 Open Government Laboren geführt hat. Dabei sollen Erkenntnisse gewonnen werden, wie das Leitbild einer kommunalen Öffnung für die Zivilgesellschaft in Gemeinden, Städten, Kreisen und Regionen in der Praxis erlebbar wird.

Digital und stationär
Mit dem Projekt HeimatLeben 4.0 werden konkrete Projekte zum Ausgleich regionaler Unterschiede angestoßen und einer ersten Wirkungsanalyse unterzogen. Bearbeitet werden die Themen Wohnen, Arbeiten und Coworking, Gesundheitsvorsorge, Erholung, Freizeit und Tourismus sowie regionale Produkte und Lieferketten. Auf allen Feldern hat vor allem die Vernetzung von digitalen und stationären Angeboten das Potenzial, die Lebensqualität der Menschen auf dem Land nachhaltig zu verbessern.

Aufbau von Wertschöpfungsnetzwerken
Offiziell gestartet ist HeimatLeben 4.0 mit einem Kick-off im September 2020. Mit mehr als 60 Teilnehmenden war es die erste leider auch für lange Zeit die letzte größere Präsenzveranstaltung. Die Corona-Pandemie veränderte auch für das Open Government Labor Bergstraße-Odenwald (OGL) den Fahrplan, aber nicht die Richtung und das Ziel. Auch unter diesen erschwerten Bedingungen konnten auf allen vier Themenfeldern, die bei der Auftaktveranstaltung definiert und in Workshops vertiefend diskutiert worden waren, vorzeigbare Zwischenergebnisse erzielt werden. Sie bilden die Grundlage für den Aufbau regionaler Wertschöpfungsnetzwerke. Diese sollen – idealerweise – Win-Win-Konstellationen begründen, indem über das Zusammenwirken prädestinierter Akteure die Bedürfnisse und Erwartungen von Menschen besser erfüllt werden.

Vier Themenfelder und ein übergeordnetes Ziel

Im Einzelnen geht es um:

  • die Frage, inwieweit Online-Sprechstunden und eine erweiterte hausärztliche Versorgung in Teampraxen einen Beitrag zur Kompensation von wegfallenden Haus- und Facharztpraxen leisten können
  • die Vermarktung von regionalen Produkten, Dienstleistungen und Erlebnissen
  • gelebte Nachbarschaften in innovativen, generationenübergreifenden Wohnformen
  • Co-Kreation und Co-Produktion in Coworking-Strukturen jenseits urbaner Räume
  • die Entwicklung und Erprobung von Modellen, die mit leichten Modifikationen in andere Regionen übertragen und repliziert werden können

Mehrere Personen sitzenn um einen Tisch und betrachten einen Vortrag an einem Bildschirm
Quelle: OGL Bergstraße-Odenwald

Bild: Das Regionallabor in einer vorher nicht genutzten öffentlichen Liegenschaft wurde als Coworking-, Kommunikations- und Kooperationsort für das Projekt „HeimatLeben 4.0“ und externe Nutzer aus Wirtschaft, Politik und Vereinen eingerichtet und mit modernster Bürotechnik ausgestattet.

Das ist konkret umgesetzt bzw. in die Wege geleitet:

Ambulante Gesundheitsversorgung

Ein regionales privatwirtschaftliches Gesundheitsunternehmen verfolgt die Implementierung des von ihm entwickelten Konzepts einer „erweiterten hausärztlichen Versorgung in Team-Praxen" in einem Modellprojekt. Das Open Government Labor führt die Partner zusammen.

Regionalmarketing
Als privatwirtschaftliches Start-up wurde die Marketing-Plattform „Jahreszeiten regional erleben“ gelauncht und kontinuierlich weiterentwickelt. Ebenfalls von einer Firmen-Neugründung wird das Konzept „Regionales Regal“ umgesetzt, um über Shop-in-Shop-„Marktplätze“ Produkte von Partnerbetrieben aus der Region zu vertreiben. Ein Pop-up-Store mit einem umfangreichen Food- und Non-Food-Sortiment füllt seit einigen Monaten einen Leerstand in der Bensheimer Innenstadt. Das Modell soll auch andernorts erprobt werden.
Ein neu gegründeter, ehrenamtlich geführter Verein, der Genial-regional e.V., will über Stadt-, Kreis- und Landesgrenzen hinweg Landschaftspflege, Umwelt-, Natur- und Klimaschutz ganzheitlich ins öffentliche Bewusstsein rücken. Unter dem Motto: „Heimat entdecken, erhalten und gestalten“ sollen Wertschätzung für regionale Produkte und Nachhaltigkeit aktiviert und das Vertrauen in Regionales gestärkt werden.
Innovatives Wohnen
Federführend ist ein aus dem Bürgernetzwerk entstandener, nicht gewerblich tätiger Verein, der WohnVision Bergstraße e.V. mit Sitz in Bensheim. Es handelt sich um eine komplett auf ehrenamtlicher Basis outgesourcte Initiative des Open Government Labors. Ein erstes Projekt (mit fünf Wohneinheiten) wurde gemeinsam mit einer regionalen Wohnungsgenossenschaft realisiert. Mit lokalen Grundstücksbesitzern, Projektentwicklerinnen, anderen privatwirtschaftlichen Investoren und kommunalen Entscheiderinnen wird die Realisierung von weiteren gemeinschaftlichen, generationenübergreifenden Wohnangeboten geprüft. Im Rahmen der Entwicklungsstrategie für die LEADER-Förderkulisse Odenwald soll eine vergleichbare Struktur im Odenwaldkreis aufgebaut werden.
Coworking / Regionallabor
Das Konzept eines klassischen Coworking-Büros für Selbständige, Firmengründer, kleine Unternehmen und Pendlerinnen im Homeoffice wurde um die Funktion eines anmietbaren Kommunikations- und Fortbildungsorts für kommerzielle und nicht-kommerzielle Nutzerinnen und Nutzer erweitert. Betrieb und Vermarktung gehen nach Auslaufen des OGL-Programms an die Standortgemeinde über. Geprüft wird eine Replizierung des Konzepts zur Belebung leerstehender öffentlicher Liegenschaften mit Anschubfinanzierungen aus dem EU-Programm LEADER für den Zeitraum 2023 – 2027.

Bestandsaufnahme und Ausblick
Unverändert steht das Labor Bergstraße-Odenwald als zivilgesellschaftliche Bottom-up-Initiative vor der Herausforderung, politische Verantwortungsträger - über wenig belastbare Absichtserklärungen hinaus – als operative Partner in Wertschöpfungsnetzwerken für die dauerhafte Implementierung von Pilotprojekten zu gewinnen. Dass dies nur zögerlich gelingt, ist systemimmanenten Hindernissen mit komplexen politischen Entscheidungsfindungs-prozessen und bürokratischen Bremsklötzen in den Behörden geschuldet. Daraus resultiert eine lähmende Angst vor dem möglichen Scheitern von Projekten und eine mangelnde Bereitschaft von Verwaltungen und Kommunalpolitik, „unternehmerische“ Mitverantwortung zu tragen und die dafür notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen bereitzustellen.
Umso mehr kommt es bis zum Ende des OGL-Förderzeitraums darauf an, die Fortführung der definierten Projekte nicht zuletzt durch die Übertragung an Partner zu sichern, die damit ein materielles oder institutionelles Interesse verknüpfen. Vor allem die mit diesem Ziel angestoßenen privatwirtschaftlichen Geschäftsmodelle eröffnen Perspektiven für eine nachhaltige Fortführung und Weiterentwicklung.

Bessere Ergebnisse durch breite Beteiligung

Rollup zum bewerben des Regionallabors
Quelle: OGL Bergstraße-Odenwald

Grundsätzlich bedarf es einer Auseinandersetzung mit der Frage, wie Erwartungen von Menschen an ein besseres Leben stärker Eingang in die gesellschaftliche und politische Agenda finden. Mit zivilgesellschaftlichen Initiativen wie dem Bürgernetzwerk kann es gelingen, systematisch eigene Themen und Ideen einzubringen und Verbündete für die Umsetzung zu suchen. Solche auf konkrete Ergebnisse fokussierten Zusammenschlüsse sind immer dann das Instrument der Wahl für dezentrales Arbeiten in Wirtschaft und Gesellschaft, wenn praxisorientiert und gemeinsam Lösungen für neue Aufgabenstellungen gefunden werden sollen. Denn kreative Prozesse in Wertschöpfungsnetzwerken oder andere Formen des Zusammenwirkens bieten unbestritten einen Mehrwert für alle. Solange solche Beteiligungsformate jedoch nicht systemkonform in Anreizen und Strukturen verankert sind, können sie nicht ihre volle Wirkung entfalten. Die gesellschaftliche Debatte darüber zu führen und mehr Offenheit für Anregungen aus der Zivilgesellschaft einzufordern, bleibt eine zentrale Aufgabe über den Förderzeitraum der Regionalen Open Government Labore hinaus.

Autoren:

Dr. Hans-Peter Meister, Karl-Heinz Schlitt
als Initiatoren des Bürgernetzwerks Bergstraße-Odenwald

Ein Programm des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) in Zusammenarbeit mit Bild-Dokument für das Frontend